Freitag, 29. Mai 2015

Die Suche nach der nationalen Identität

Volkszählung: Ein Staat zählt seine Einwohner. Das klingt einfach, ist aber überaus sensibel.
Ich bin Jedi“, steht auf dem Schild, das Valentino in der Hand hält. Der junge Mann aus Sarajewo ist einer von vielen Bosniern, die es satthaben, sich deklarieren zu müssen. Das Wort „Jedi“ (fiktive Figur aus Star Wars) erklärt für ihn genauso gut seine Identität wie „Bosniake“ oder „Weltbürger“. Valentino ist Teil einer Initiative gegen die ethnische Einteilung Bosniens.
Der Staat Bosnien und Herzegowina ist seit dem Daytoner Friedensabkommen von 1995 darauf aufgebaut, dass es drei große Ethnizitäten auf seinem Territorium gibt: Bosniaken (oder bosnische Muslime, 43,7 Prozent), bosnische Serben (31,4 Prozent) und bosnische Kroaten (17,3 Prozent). Das alles basiert auf einer Volkszählung von 1991 – noch vor dem Krieg. Danach wurden Zigtausende Menschen getötet, Millionen flüchteten.
Zum ersten Mal, seit es das Staatskonstrukt „Bosnien-Herzegowina“ gibt, werden dessen Einwohner gezählt. Von 1. bis 15. Oktober werden 18.879 Beamte von Tür zu Tür gehen und Fragebögen austeilen, in denen nicht nur die Anzahl von Personen in einem Haushalt angegeben werden müssen, sondern auch deren nationale Identität, Sprache und Religion.
„Für uns Bürger wird sich nicht wirklich etwas ändern. Ich befürchte eher, dass das Ergebnis zum Instrument für politische Parteien in Bosnien wird“, sagt Dragan aus Tuzla.

Politischer Zündstoff

Das Ergebnis ist nicht bindend, birgt aber politischen Zündstoff. „Im nächsten Jahr sind Wahlen“, weiß Florian Bieber, Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien an der Uni Graz. „Jede Partei wird es verstehen, die Ergebnisse als Vorteil zu nutzen.“
Erwartet wird, dass sich die Einwohnerzahl seit 1991 von 4,36 Millionen um bis zu eine Million verringert hat. Bosniaken machen heute wahrscheinlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus.
„Ich kreuze ‚Serbe‘ an“, sagt Vedran. „Ich bin Serbe und wohne in Banja Luka, einer serbischen Stadt.“ In der Republika Srpska, der nördlichen Teilrepublik Bosniens, leben heute vermutlich zu 80 Prozent ethnische Serben. Eine Befürchtung der internationalen Gemeinschaft vor der Zählung war, dass deren Ergebnis „ethnische Säuberungen“ des Krieges rechtfertige. Vor allem bosniakische Interessengruppen haben deshalb kritisiert, dass nach der ethnischen Identität gefragt wird. Mit dem Erfolg, dass man die Frage auch mit „keine Angabe“ beantworten kann.
In anderen Balkanstaaten wurde 2011 gezählt. Aber auch die hatten ihre Schwierigkeiten. In Mazedonien wurde die Befragung nach einer Woche abgebrochen, weil die Albaner-Partei heftig protestiert hatte. Die Zählung in Serbien wurde von der albanischen Minderheit boykottiert; jene im Kosovo von der serbischen Minderheit, die den Staat Kosovo nicht anerkennt. In Montenegro glich die Vorbereitung auf die Zählung einem Wahlkampf. In Kroatien gaben 303 Menschen bei der nationalen Identität „Jedi“ an. Da wäre Valentino aus Sarajewo in guter Gesellschaft.
(KURIER) ERSTELLT AM 01.10.2013, 06:00

Hinweis: http://kurier.at/politik/ausland/bosnien-herzegowina-volkszaehlung-die-suche-nach-der-nationalen-identitaet/29.035.155 

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